Land fordert Modellkommunen-Konzept innerhalb von 24 Stunden
Landrat Andreas Müller und Bürgermeister Steffen Mues: „Wir bleiben weiter am Ball!“
Mit großer Überraschung hat Landrat Andreas Müller eine Mail aus Düsseldorf zur Kenntnis genommen, die am gestrigen Tag im Kreishaus in Siegen eingetroffen ist. Darin werden Kommunen in NRW, die Modellprojekt zur Öffnung des öffentlichen Lebens trotz höherer 7-Tages-Inzidenz werden wollen, aufgefordert, eine umfangreiche und detaillierte Bewerbung abzugeben – innerhalb von nur 24 Stunden.
„Letzte Woche hatte ich den Ministerpräsidenten angeschrieben und unser Interesse bekundet, Modellkommune werden zu wollen. Und ich habe angeboten, kurzfristig ein Konzept zu erarbeiten. Auf dieses Schreiben habe ich bis heute keine Antwort erhalten“, bedauert der Landrat: „Umso überraschter bin ich, dass uns jetzt das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes auffordert, innerhalb von nur 24 Stunden eine Konzept zu erarbeiten – und das anhand eines umfangreichen Vorgabenkatalogs“, so der Landrat.
Kreis Siegen-Wittgenstein und Universitätsstadt Siegen haben bereits mit der Erarbeitung von Ideen und Konzepten begonnen. Die Stadt hat dazu eigens einen Arbeitskreis gegründet. Auch beim Kreis wurden schon mögliche Eckpunkte diskutiert. Die Ergebnisse sollten nach Ostern zu einem gemeinsamen Konzept zusammengeführt werden.
Allerdings hatten weder Kreis noch Stadt bis gestern Kenntnis davon, was aus Sicht das Landes alles in solch einem Konzept berücksichtigt werden soll: So geht es u.a. um die Verankerung des Projektes in der Kommune, die Benennung von Projektpartnern, die lokale Finanzierung, eine örtliche wissenschaftliche Begleitung, Vorläuferprojekte als digitale Modellregion, regionale digitale Highlights, vorhandene digitale Lösungen zum Testen, Impfen und Nachverfolgen, konkrete, abgrenzbare Einzelprojekte, Konzepte zur Übertragbarkeit auf andere Kommune, die Definition von Abbruchkriterien und vieles mehr.
„Vieles davon ist sinnvoll und auch machbar – aber nicht innerhalb von 24 Stunden. So lange wartet man unter Umständen schon auf einen einzigen Rückruf von einem notwendigen Partner, der gerade mal nicht zu erreichen ist“, stellt der Landrat fest: „Anderes ist aber auch schlicht nicht nachvollziehbar: Während auf EU-, Bundes- und Landesebene an digitalen Lösungen zum Testen, Impfen und Nachverfolgen gearbeitet wird, sollen wir bei der Bewerbung als Modellkommune bereits mitteilen, ob wir solche fertigen Lösungen im Einsatz haben? Das kann das Ministerium nicht wirklich ernst meinen“, sagt Müller irritiert. Und er ist auch darüber verwundert, dass zum Kriterienkatalog die Frage nach dem aktiven Einsatz von SORMAS im örtlichen Gesundheitsamt gehört. „Wir setzen, wie viele Kreise, eine andere Software ein, die zum aktuellen Zeitpunkt besser für die tägliche Arbeit unseres Gesundheitsamtes geeignet ist. Wir haben immer unsere Bereitschaft erklärt, SORMAS zur Übermittlung der Daten einzusetzen, sobald entsprechende Schnittstellen vorliegen. Die waren schon mehrfach angekündigt, gibt es aber bis heute nicht. Jetzt den Einsatz von SORMAS als ein mögliches Kriterium für die Auswahl als Modellkommune anzuführen, hat einen ziemlich faden Beigeschmack“, findet der Landrat. Denn offiziell angeordnet hat das Land den aktiven Einsatz von SORMAS bis heute nicht.
Müller macht keinen Hehl daraus, dass er über das Vorgehen des Ministeriums mehr als verärgert ist: „Die Modellkommunen sollen innerhalb von sechs bis acht Wochen an den Start gehen, sagt das Ministerium. Den interessierten Kommunen für die Erarbeitung von entsprechenden Konzepten aber gerade mal 24 Stunden Zeit einzuräumen, wird der Sache nicht gerecht“, so Müller: „Eigentlich kann das niemand seriös leisten. Und das wirft dann doch wieder die Frage auf, die bereits letzte Woche öffentlich diskutiert wurde: Hat sich das Land seine ‚Modellkommunen‘ vielleicht schon längst ausgesucht? Hatten manche Kommunen vielleicht einen Wissensvorsprung, um eine erfolgreiche Bewerbung abgeben zu können? Unter normalen Umständen ist eigentlich niemand in der Lage, die geforderte fundierte Bewerbung innerhalb von 24 Stunden auszuarbeiten“, ist Müller überzeugt.
Auch wenn Kreis und Stadt unter den aktuellen Rahmenbedingungen keine Chance mehr sehen, jetzt als Modellkommune ausgewählt zu werden, wollen Landrat Andreas Müller und Bürgermeister Steffen Mues weiter am Ball bleiben. „Zum einen warte ich ja immer noch auf die Antwort auf meine Frage an den Ministerpräsidenten, ob wir als Kreis, auch wenn wir nicht als Modellkommune ausgewählt werden, trotzdem von den geltenden Vorgaben der Coronaschutzverordnung des Landes abweichen können – entsprechend der Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel: ‚Es ist keinem Bürgermeister und keinem Landrat verwehrt, das zu tun, was in Tübingen und Rostock gemacht wird‘.“
Zum anderen sind Müller und Mues überzeugt, dass mit der Auswahl von Modellkommunen kein Schlussstrich unter die Entwicklung von Modellen zur Reaktivierung des öffentlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens unter den Bedingungen der Corona-Pandemie in NRW gezogen wird: „Wir sind weiterhin in einer sehr dynamischen Lage, in der wir ständig flexibel auf Veränderungen reagieren müssen. Deshalb werden wir auch weiter am Ball bleiben, unsere Vorstellungen erarbeiten und damit bei der Landesregierung vorstellig werden – unabhängig von der Auswahl der Modellkommunen“, betonen Landrat und Bürgermeister. In einem ersten Schritt sollen so zumindest Einzelanträge zu kleinen Ausschnitten des gesellschaftlichen Lebens erarbeitet und eingereicht werden, um z.B. den Badebetrieb vorzubereiten und wieder aufnehmen zu können.