»Care Leaver« im Fokus
6. Fachtag Jugendsozialarbeit in Siegen möchte mehr Zusammenarbeit
Care Leaver sind junge Erwachsene, die einen Teil ihres Lebens in der stationären Kinder- und Jugendhilfe – z.B. in betreuten Einrichtungen oder Pflegefamilien – verbracht haben und sich im Übergang in ein eigenständiges Leben befinden.
Care Leaver sind junge Erwachsene, die einen Teil ihres Lebens in der stationären Kinder- und Jugendhilfe – z.B. in betreuten Einrichtungen oder Pflegefamilien – verbracht haben und sich im Übergang in ein eigenständiges Leben befinden. In Deutschland gibt es ca. 150.000 Care Leaver. Einige von ihnen werden nach Erreichen der Volljährigkeit aus den entsprechenden Einrichtungen entlassen – nicht selten ohne angemessene Übergangsregelungen, wie die Beteiligten des sechsten Fachtags Jugendsozialarbeit deutlich kritisierten. Der Fachtag wurde vom Kreis Siegen-Wittgenstein, der Stadt Siegen, dem Jobcenter des Kreises Siegen-Wittgenstein und dem katholischen Jugendwerk Förderband Siegen-Wittgenstein e.V. veranstaltet.
„'Leaving Care' bedeutet für junge Menschen nicht nur die Chance, selbstständig und unabhängig zu werden, sondern bringt oft auch erhebliche Unsicherheiten und Herausforderungen mit sich“, sagte Thomas Wüst, Dezernent für Schule, Bildung, Soziales und Jugend des Kreises Siegen-Wittgenstein, bei der Begrüßung der Vertreterinnen und Vertreter sozialer Einrichtungen im Siegener Kulturhaus Lÿz.
Anne Erhard kennt die Herausforderungen der Care Leaver aus erster Hand. Sie hat in einer Einrichtung der Jugendhilfe gelebt. Nachdem sie für ihr Studium die Einrichtung verlassen und nach Siegen gezogen war, fühlte sie sich allein gelassen. „Ich hätte mir rückwirkend gewünscht, es hätte eine Übergabe an einen Siegener Jugendhilfeträger gegeben“, sagt Anne Erhard. „Dass da jemand gesagt hätte‚ das ist die Anne. Nehmt die doch noch mal drei Monate an die Hand.“ Mit Careleaver e.V. unterstützt sie daher heute Betroffene - etwa durch Netzwerktreffen, Fachtage, Lobbyarbeit oder einen Notfallfonds.
Natascha Feyer vom Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim referiert über die Herausforderungen, mit denen Care Leaver konfrontiert sind: zum Beispiel prekäre Lebenssituationen nach der stationären Hilfe, schlechte Bildungschancen, drohende Wohnungslosigkeit, gesundheitliche und psychische Belastungen. Sie wünscht sich erweiterte Perspektiven für Care Leaver.
„Man kann sich mit 16 in der dualen Ausbildung und damit bereits im Gelderwerb befinden, oder Jugendliche können mit 20 auch noch in der Schule sein“, sagt die Expertin. „So kann eine räumliche Loslösung vom Elternhaus stattfinden, gleichzeitig aber noch eine finanzielle Abhängigkeit zu den Eltern bestehen.“
Anne Erhard fragt dazu: „Wenn Menschen mit durchschnittlich 25 Jahren aus dem Elternhaus ausziehen, warum muss das dann bei Care Leavern, die einen großen emotionalen Rucksack mit sich rumtragen, bei 19 Jahren liegen?“
Udo Hüttmann, Sachgebietsleiter im Jugendamt des Kreises Siegen-Wittgenstein, wünscht sich eine gezielte Ansprache von Care Leavern. „Wenn junge Menschen die Jugendhilfe kritisieren, müssen wir uns Gedanken darübermachen, was wir strukturell besser machen müssen.“ Nach seinem Wunsch für 2026 gefragt, sagt er: „Wir müssen es Care Leavern ermöglichen in die Jugendhilfe zurückzukehren, wenn sich ihre Zukunftspläne nicht haben umsetzen lassen oder sie merken, dass sie auf dem Weg in die Eigenständig unerwartet noch Unterstützung benötigen.“
Auch Georg Ritter, Leiter des Jugendamtes der Stadt Siegen, ist an einem vertieften Dialog mit den Betroffenen interessiert. „Wenn die Regionalgruppe ‚Care Leaver Siegen‘, die es noch nicht gibt, auf uns zukäme, würden wir das sehr begrüßen – das kann uns nur weiterbringen.“
Der Vorschlag einer Regionalgruppe von careleaver.nrw in Siegen-Wittgenstein sorgt in der abschließenden Podiumsdiskussion für eifriges Kopfnicken – wie die überlasteten Hilfestrukturen das organisieren wollen, konnte nicht abschließend beantwortet werden.